Familien in gemeinschaftlichen Wohnformen
Im vorliegenden Forschungsbericht wird der Fokus auf „Familien in gemeinschaftlichen Wohnformen“ gerichtet. Obwohl Familien die wesentliche soziale Gruppe in den Wohnprojekten darstellen, wurden deren spezifische Bedürfnisse und Potentiale bisher nicht hinreichend gewürdigt.
Familienwohnen – zumal in gemeinschaftlich strukturierten Kontexten – ist gleichermaßen ein bauliches wie soziales Konzept. Aus diesem Grund forschten zwei Forschungsteams der Hochschule Karlsruhe und des Deutschen Jugendinstituts unter einer raum- und einer sozialwissenschaftlichen Perspektive und auf der Basis vielfältiger methodischer Zugänge. Die Ergebnisse wurden im Resümee und in einem Praxisleitfaden zusammengeführt.
Soziale Nähe lässt im Kontext gemeinschaftlichen Wohnens generationen- und lebensform-übergreifende Netzwerke der Unterstützung und Fürsorge entstehen. Die vielfach belasteten Familien erfahren durch das gemeinschaftliche Fürsorgenetzwerk Erleichterungen. Derartige Bezüge, die individuell strukturiert sind, werden nicht selten von den Bewohner:innen als familienähnliche Netzwerke und Erweiterungen der Kernfamilie wahrgenommen. Gemeinschaftliche Sorgestrukturen und Teilhabemöglichkeiten vermögen es, intra- und intergenerationale Netzwerke zu bilden, die Familien auch im Spannungsfeld zwischen Erwerbstätigkeit und Familienleben entlasten und im Hinblick auf das Aufwachsen der Kinder und Jugendlichen bereichern können und darüber hinaus für Senior:innen zu einem selbstbestimmten Leben im Alter beitragen.
Gemeinschaftliches Wohnen ist heute letztlich eine räumliche wie soziale Antwort auf sich verändernde Familienstrukturen. Für das Familienwohnen in Gemeinschaften muss ein erweiterter Wohnbegriff angewandt werden, da sich der Wohnalltag in der privaten Kernwohnung, aber auch im Wohnprojekt entfaltet. Die Forschung zeigt, dass sich im Familienwohnen neue Strukturen in den Grundrissen herausbilden und adaptive Raumoptionen verfolgt werden. „Dazwischenräume“, also Räume zwischen dem privaten Wohnraum und dem öffentlichen Raum, gewinnen als Spiel- und Kommunikationszonen deutlich an Bedeutung, den erweiterten Erschließungsräumen fällt in diesem Kontext eine Schlüsselrolle zu. Familienwohnen in gemeinschaftlichen Wohnprojekten, führt, gerade wegen der fortlaufend sich ändernden Nutzungsanforderungen, zu spannenden sozialen wie räumlichen Adaptionsleistungen. Insbesondere die Lebenslaufperspektive zeigt, dass diese Wohnformen auf biografische Ereignisse und Übergänge angemessen sozial und räumlich reagieren können. Besonders bei Trennungsereignissen, wie auch im Übergang von der aktiven Familienphase zur Empty-nest-Phase, sind die Adaptionspotenziale gemeinschaftlicher Wohnformen enorm.
Familien im gemeinschaftlichen Wohnen spiegeln inzwischen die ganze Breite und Vielfalt von Lebens- und Wohnformen wider. Um der sozialen Vielfalt und sozialen Adaptionsfähigkeit gerecht zu werden, ist die Schaffung eines breiten und differenzierten Angebotes an unterschiedlichen Wohnungstypen erforderlich.
Da differenzierte Gemeinschaften vielfältige Räume brauchen, findet vermehrt eine Öffnung zum Quartier oder Dorf statt. Durch die gemeinwohlorientierten Initiativen werden gemeinschaftliche Wohnprojekte häufig zu wichtigen Impulsgebern einer sozialkooperativen und lebendigen Quartiersentwicklung. Die Studie hat auch gezeigt, dass das Gelingen des sozialen Miteinanders kein Selbstläufer ist. Die für das jeweilige Projekt angemessene Form der Kultivierung des Gemeinwesens sowie Möglichkeiten der Selbstorganisation oder Mitgestaltung sind eine wesentliche Voraussetzung für die Entfaltung sozialer Unterstützungs- und wohnräumlicher Anpassungspotenziale. Die reichhaltigen Befunde zeigen die vielfältigen Dimensionen des Mehrwerts auf, die gemeinschaftliches Wohnen für Familien sowie gesamtgesellschaftlich erbringen kann.