Hochschule Karlsruhe Hochschule Karlsruhe - University of Applied Sciences
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Das Wahrnehmungsparadox im Nahverkehr

Die Fahrt mit Bussen und Bahnen im ÖPNV wird deutlich schlechter erinnert als tatsächlich erlebt.

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Das menschliche Gehirn ist nicht immer verlässlich, wenn es darum geht, ein objektives Urteil zu fällen. Die Folge: Ein in der Psychologie als Memory-Experience-Gap beschriebenes Phänomen, das sich auch in Bezug auf den deutschen Nahverkehr zeigt:

Der ÖPNV wird deutlich schlechter erinnert als tatsächlich erlebt.

Gefragt nach ihrer Erfahrung mit dem ÖPNV, beschreiben fast Dreiviertel der Teilnehmenden in der BWIM/SWR-Studie #BesserBahnfahren ein negatives Ereignis (April 2023). Die konkrete Nachfrage, ob "gestern" alles glatt lief, ergab 66 % positive Erfahrungen (Juli 2023). Bei direkter Beurteilung nach jeder Fahrt über einen Zeitraum von zwei Wochen springen die positiven Bewertungen auf 90 % (Juli 2023).

Eine Erklärung dieser scheinbar widersprüchlichen Daten: Die selektive Wahrnehmung hat den Menschen gelehrt, besonderen Vorkommnissen – insbesondere negativen – mehr Aufmerksamkeit zu schenken als alltäglichen Dingen. Ein bekannter psychologischer Effekt, der noch verstärkt wird, wenn der Mensch im Gespräch mit anderen oder auch über die Medien wiederholt in seiner Wahrnehmung bestätigt wird.

Was die BWIM-Studie auch zeigt: Pünktlichkeit steht für die Fahrgäste an erster Stelle. Und tatsächlich decken sich die 90 % positiven Beurteilungen aus der Livebefragung mit der Statistik für 91 % Pünktlichkeit bei Zügen der DB Regio*. Ein Wert, der in der öffentlichen Wahrnehmung wiederum von den Verspätungen im Fernverkehr (64 % Pünktlichkeit*) überlagert wird. (*Deutsche Bahn: Integrierter Bericht 2023).

Jedoch ist es nicht ausreichend, sich zurückzulehnen auf die Position "der ÖPNV ist besser als sein Ruf". Um Menschen für eine neue Mobilität zu begeistern, gilt es die Zuverlässigkeit über das jetzige (von den Kund*innen als unzureichend angesehene) Niveau hinaus zu steigern. U.a. durch Pünktlichkeit, Taktdichte, kurze Fahrzeiten, ausreichend Wagenmaterial, gute Informationen und eine angenehme Atmosphäre. Busse und Bahnen im Nahverkehr müssen erlebbar besser sein als ihr Ruf.

Die Studie ist Teil des BWIM-Transformationsprojekts Why We Move How We Move.