Hochschule Karlsruhe Hochschule Karlsruhe - University of Applied Sciences
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SITUATION

Generell liegen in urbanen Strukturen deutlich höhere Temperaturen als im unbebauten Umland vor. Dieser sogenannte „Heat-Island“ Effekt wird sich im Zuge des Klimawandels deutlich verstärken. Darüberhinausgehend ist regional und überregional mit einer Verschiebung der Niederschlagsmuster zu rechnen. So muss vielerorts, auch bei jährlich nahezu gleichbleibenden absoluten Niederschlagsmengen, in den Sommermonaten mit einem Rückgang und in der kalten Jahreszeit mit einem Anstieg der Mengen gerechnet werden. Auch wird von einer Zunahme von Starkregenereignissen ausgegangen. Neben einer drastischen Reduktion der Treibhausgasemissionen müssen bereits heute für urbane Strukturen spezifische Anpassungsstrategien an den Klimawandel entwickelt und auch sukzessive umgesetzt werden, um innerstädtische Mikroklimate nachhaltig zu stabilisieren.

Sofern auch perspektivisch eine ausreichende Wasserverfügbarkeit gegeben ist, kann ein deutlich erhöhter Begrünungsanteil über großkronige Bäume mit entsprechenden Transpirationsraten und schattenspendenden Eigenschaften als wirksame Anpassungsmaßnahme gesehen werden. Zusätzliche Begrünungen sind oftmals jedoch nicht in ausreichender Dimension umsetzbar. Augenscheinlich nutzbare Bereiche können für Großbepflanzungen oftmals nicht genutzt werden, da im Boden verbaute Infrastruktur durch das sich ausbreitende Wurzelwerk der Bäume Schaden nehmen würde.

Alternativ können in diesen Bereichen „Cool-Spots“ zur Verbesserung des lokalen Mikroklimas und zur Schadensprävention zum Einsatz kommen, indem einerseits lokale Dämpfungen zukünftig deutlich erhöhter Temperaturen erfolgen und zudem Risiken von Schäden durch in den Wintermonaten zu erwartende, erhöhte Niederschlagsmengen und Starkregenereignisse reduziert werden.

Darüberhinausgehend sollte zudem eine verstärkte Vermittlung der zukünftig zu erwartenden, konkret lokal vor Ort auftretenden Veränderungen erfolgen. Bürgerinnen und Bürgern sollte gezeigt werden, welche negativen Einflüsse der Klimawandel auf ihr ganz persönliches Umfeld haben wird.

COOL-SPOTS

Ein erstes Entwicklungsmuster, mittels dessen die öffentliche Akzeptanz derartiger Systeme geprüft werden kann, wurde an der Hochschule Karlsruhe unter der Leitung von Prof. Dr. Bernhard Lenz in Kooperation mit Prof. Dr. habil. Michael Kauffeld und Prof. Daniel Schwarz entwickelt. Mit dem hoch effizienten System kann Umgebungsluft, je nach Situation, um über 10K abgekühlt werden. So kann am Ort eingesaugte Luft bspw. von 36°C auf unter 26°C abgekühlt werden. Zudem fungiert das Entwicklungsmuster als interaktives System, um mögliche, aus dem Klimawandel resultierende, Temperaturerhöhungen vorab aktiv erspüren zu können. Da der voranschreitende Klimawandel insbesondere in hoch verdichteten urbanen Bereichen zu einer noch deutlicheren Zunahme lokaler Temperaturen führen wird, wurde dieser Aspekt spezifisch berücksichtigt. In Kooperation mit dem Priestley Center International for Climate in Großbritannien wurden validierte lokale Messdaten, die vorab durch die Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW) zu Verfügung gestellt werden konnten, mittels eines speziellen Verfahrens (statistic downscaling) aufbereitet und mittels einer spezifischen Simulationssoftware weiterverarbeitet. Somit erhält man indikative Aussagen darüber, welche Temperaturen im Karlsruher Zentrum, bei einer mittleren globalen Temperaturerhöhung um 2°C oder 3°C zukünftig vorliegen könnten. Da leider keine Messreihen über einen Zeitraum von mindestens 30 Jahren vorlagen, sind die Ergebnisse wissenschaftlich nicht belastbar, jedoch als eindeutig indikativ anzusehen.

WIRKUNGSWEISE in MITTELEUROPA und vergleichbaren REGIONEN

Eine Anpassung an klimatische Veränderungen erfolgt, indem Niederschlagswasser, das zukünftig in der kalten Jahreszeit zusätzlich anfällt, großvolumig in dezentralen unterirdischen Zisternen zwischengespeichert und saisonal verzögert, in den deutlich wärmer und trockener werdenden Sommermonaten, über das entwickelte Verdunstungssystem abgegeben wird. Die vorhandene winterliche Grundwasserneubildung wird nicht beeinträchtigt, da nur zusätzliches, auf versiegelte Flächen fallendes Wasser, eingespeichert wird. Kostbares und zukünftig immer knapper werdendes Trinkwasser wird nicht genutzt. Diese Anpassungsstrategie fokussiert auf hochverdichtete urbane Gebiete, in denen keine alternativen Maßnahmen wie bspw. großvolumige Begrünungen möglich sind. Idealerweise werden „Cool-Spots“ in Kombination mit Verschattungssystemen umgesetzt.

Das System trägt jedoch nicht nur real zu einer Verbesserung des lokalen Mikroklimas bei, sondern Nutzende können darüberhinausgehend auch aktiv in das Verfahrensprogramm eingreifen. So kann in Echtzeit nachvollzogen werden, wie sich die gleiche urbane Situation, ohne die aktuelle Anpassung, tatsächlich anfühlt oder wie sich der gleiche Ort, anfühlen würde, wenn die globale Erwärmung bspw. bei 2,0 °C liegt. Die spielerische, interaktive Nutzung vermittelt somit nicht nur ein besseres Verständnis der Folgen des globalen Klimawandels auf den eigenen lokalen Lebensbereich, sondern kann über die gemachten Erfahrungen zu einer intrinsisch geprägten Motivationssteigerung beitragen, dem Klimawandel aktiv individuell entgegenzuwirken.

BESONDERHEITEN

In Bezug auf die sich im Zuge des Klimawandels verändernden winterlichen Niederschlagsmengen wirken sich zusätzliche Großbaumpflanzungen nur marginal positiv aus, denn diese gehen i.d.R. nicht mit markanten Entsiegelungsraten einher. Da in den Wintermonaten in vielen Regionen Deutschlands von einer deutlichen Erhöhung der Niederschlagsmengen ausgegangen werden muss und vorhandene Infrastruktur (Entwässerung und Kanalisation) nicht auf derartig zusätzlich anstehende Niederschlagsmengen ausgelegt ist, steigt das Risiko von Überschwemmungen, insbesondere in hoch versiegelten urbanen Regionen, markant an. Derartigen Risiken wird in einigen Großstädten über die Einspeicherung von großen Wassermengen in zentralen Kavernen und in diversen Städten über die Umsetzung von dezentralen Versickerungen im Rahmen sogenannter „Sponge-City“ Konzepte entgegengetreten. Eine Verbesserung der sommerlichen Problemlage kann hierdurch jedoch nicht herbeigeführt werden.

Zur sommerlichen Kühlung urbaner Bereiche setzen diverse Kommunen vermehrt auf das Versprühen von Trinkwasser. Diese Strategie setzt jedoch voraus, dass Trinkwasser auch zukünftig in ausreichender Quantität zur Verfügung steht, wovon nicht auszugehen ist. Auf zukünftig höhere winterliche Niederschlagsmengen hat diese Strategie keinerlei positiven Einfluss.

Aktuelle und in der Forschung befindliche Lösungen adressieren meist entweder eine Reduktion der sommerlichen Maximaltemperaturen oder die Verringerung der Schadensrisiken durch erhöhte Niederschlagsmengen, die in Zukunft vermehrt in der kalten Jahreszeit auftreten werden sowie eine Reduktion von Gefahren durch ganzjährig mögliche Starkregenereignisse. Übergreifende Lösungsansätze finden sich i.d.R. nicht.

Einer zukünftig wirksamen Adaptationsstrategie sollte jedoch keine isolierte Betrachtungsweise zu Grunde liegen, noch sollte diese dazu führen, dass Bürgerinnen und Bürger der Annahme verfallen, ein „weiter so“ könnte in beliebigem Maße über Adaptationen kompensiert werden können. Vielmehr muss eine vollumfängliche Anpassungsstrategie sowohl zukünftig höhere sommerliche Temperaturen als auch zu erwartende Zunahmen winterlicher Niederschlagsmengen berücksichtigen und darüberhinausgehend zu einem Umdenken anregen.

Im Unterschied zu anderen Anpassungsstrategien geht der an der Hochschule Karlsruhe entwickelte Lösungsansatz über bekannte Systeme hinaus und verknüpft vorhandene Problemlagen sowie Kommunikationsebenen:

Zukünftig aus der Zunahme der winterlichen Niederschläge resultierende Probleme werden nicht nur reduziert, sondern zudem genutzt, um den sommerlichen Temperaturanstieg zu dämpfen. Eine Problemlage wird somit genutzt, um eine andere zu entschärfen. Auch kommuniziert das System seinen Nutzenden mögliche lokale Auswirkungen des Klimawandels und macht mögliche Folgen über einen spielerischen Lösungsansatz erfahrbar. Hierzu nutzt das System ein Interface, das Nutzende auf einfache sowie attraktive Art und Weise dazu animiert, mit dem System und seiner Funktionsweise zu interagieren und so mögliche Auswirkungen auf ihre lokale Umwelt und sie selbst unmittelbar erfahren zu können.

WASSEREINSPEICHERUNG

Die zukünftig zu erwartenden lokalen Veränderungen der saisonalen Niederschlagsmengen konnte exemplarisch überprüft werden.

Insbesondere die Zunahme von Starkregenereignissen stellt eine Gefahr auf unterschiedlichen Ebenen für unsere Umwelt und unsere gebaute Umgebung dar. In der Vergangenheit wurde in vielen städtischen Gebieten eine sogenannte Mischkanalisation aufgebaut. Dies bedeutet, dass Oberflächenabflusswasser (Regenwasser) und häusliche Abwässer aus Gebäuden in einem gemeinsamen Kanal unterhalb des Straßenniveaus abgeführt werden. Dieses Mischwasser wird nachfolgend einer Kläranlage zugeführt. Bei einer deutlichen Zunahme der Niederschlagsmengen, insbesondere bei Starkregenereignissen, liegen anfallende Wassermengen jedoch deutlich über den Auslegungsmengen, weshalb die dann anstehenden Wasserquantitäten in vielen Fällen nicht mehr von den Kläranlagen verarbeitet werden können. Mischwasser müsste in diesen Fällen ungeklärt abgeleitet werden. Im Falle des entwickelten Systems wird in den Wintermonaten zusätzlich fallender Niederschlag in dezentralen unterirdischen Zisternen gespeichert. Die Qualität des gespeicherten Wassers wird kontinuierlich kontrolliert und das Wasser erst nach Aufbereitung über das System abgegeben. 

WOHLBEFINDEN

Thermisches Wohlbefinden wird durch unterschiedliche Parameter beeinflusst. So u.a. durch individuelle Parameter, wie bspw. das Geschlecht, die Aktivität oder das Bekleidungsniveau. Weitere Parameter sind u.a. die Intensität (direkter) Solarstrahlung, die Luftgeschwindigkeit und die Lufttemperatur. Das vorgestellte neuartige Konzept wird idealerweise in Kombination mit einem Verschattungssystem zum Einsatz gebracht.

Bedingt durch statische Einschränkungen des temporären Aufbaues konnten die bereits entworfenen und konstruierten Sonnenschutzsysteme auf der Demonstrator-Plattform leider nicht realisiert werden.

Da kühle, bzw. durch das System abgekühlte Luft eine höhere Dichte als warme Luft aufweist, kommt es bei niedrigen Luftgeschwindigkeiten zu einer thermischen Schichtung. D.h., kalte Luft sinkt ab. Optimalerweise wird das System deshalb zudem in städtebauliche Strukturen integriert, die die Bildung eines Kaltluftsees ermöglichen.

UMSETZUNG

Um die Effizienz des neuartigen Systems aufzuzeigen und zudem eine Interaktion zu ermöglichen, wurde eine temporäre rückbaubare Plattform erstellt, auf welche das Entwicklungsmuster der Kühlstele montiert wurde. Im Sinne der Nachhaltigkeit wurde der Einsatz nicht recyclebarer Bauteile auf ein Minimum reduziert, weshalb die Plattform aus gebrauchten Euro-Paletten erstellt wurde. Nach Rückbau werden diese wieder in den sogenannten Paletten-Pool zurückgeführt und können erneut für Transportzwecke verwendet werden. Bedingt durch diverse, stark einschränkende Randbedingungen des temporären Aufbaues konnte die ursprünglich geplante Zugänglichkeit für mobilitätseingeschränkte Personen leider nicht umgesetzt werden.

EFFIZIENZ UND ENERGIEVERBRAUCH

Bei der Konzeption wurde besonderer Wert auf eine hohe Kühlleistung bei zugleich niedrigstem Energiebedarf gelegt, um eine maximale Energieeffizienz zu erzielen. Mittels des innovativen Systems kann bei minimiertem Energieverbrauch eine Abkühlung der Luft um über 10K erzielt werden. Außenluft einer Temperatur von beispielsweise 36°C kann somit auf unter 26°C abgekühlt werden.

Der in der Klimakammer im Labor ermittelte Energieverbrauch des Systems liegt deutlich unter 200W und lässt sich problemlos über ein Standard-PV-Modul abdecken. Als Vergleich kann darauf hingewiesen werden, dass ein Standard PV-Modul eine Leistung von etwa 400W aufweist. Notwendige PV-Fläche könnte somit problemlos auf dem Verdunstungselement untergebracht werden, so dass eine energieneutrale Umsetzung möglich ist. Würde zudem ein kleiner elektrischer Speicher verbaut, wie dieser beispielsweise bei Balkonkraftwerken zum Einsatz kommt, könnte das System zudem als Inselsystem, d.h. ohne die Notwendigkeit eines Netzanschlusses betrieben werden. Aufgrund einschränkender Randbedingungen bei der Projektumsetzung konnte die vorhandene energetische Neutralität leider ebenfalls nicht dargestellt werden.

Die im Labor-Monitoring ermittelte Kühlleistung des Systems liegt bei etwa 2,5 kW. Die ermittelte Kühlzahl bei etwa 20-25 kW/kW. Der Wasserverbrauch beträgt Situationsabhängig etwa 2,5 L/h.

HYGIENE

Um eine einwandfreie Hygiene sicherzustellen, wurde ein optimales und zugleich kostengünstiges, mehrstufiges Hygienekonzept entwickelt. Da unerwünschter Keimeintrag in das Speichersystem nicht verhindert werden kann, besteht das primäre Ziel darin, vorhandene Belastungen (Keimlast) auf einen Minimalwert zu beschränken. Dies erfolgt insbesondere über zisternenintegrierte Entkeimung über UV-Strahler in Kombination mit einer intelligenten Wasserführung. Darüberhinausgehend wird Wasser direkt vor der Verdunstung durch eine Ultrafiltrationseinheit geführt, um mögliche verbliebene Verunreinigungen oder Belastungen zurückzuhalten. Die Integration weiterer Filterelemente ist zudem problemlos möglich. Die dauerhafte Wirksamkeit des Hygiene-Konzeptes wurde von einem unabhängigen Institut im Rahmen eines kontinuierlichen Analyse-Monitorings bestätigt.  

VISION + MÖGLICHE WEITERENTWICKLUNG

Es ist angedacht, das vorgestellte Entwicklungsmuster zu einem modularen System weiterzuentwickeln und mit weiteren Nutzungen zu kombinieren. Je nach Anforderung könnten so unterschiedlichste Aspekte kombiniert und sich bspw. archaische monofunktionale Straßenlaternen zu multifunktionalen Systemen wandeln lassen.

Darüberhinausgehend wurde ebenfalls indikativ untersucht, ob und wie eine mögliche Nutzung von Salz- oder Brackwasser möglich wäre, um das System auch in trocken-heißen Regionen, in denen Trinkwasser eine kostbare Ressource darstellt, zum Einsatz bringen zu können.

MITARBEITENDE

Prof. Dr.-Ing. Bernhard Lenz (Konzeption, Entwicklung und Projektleitung)
Prof. Dr. habil. Michael Kauffeld
Prof. Daniel Schwarz

Jonas Schweikert (Maschinenbau)

Thierry Braun (Informatik), Tobias Nitschke (Maschinenbau), Pascal Rittlinger (Architektur), Louis Wilson (Mechatronik)

Moritz Disse, Franziska Ehret, Kimberley Eichele, Emre Ertas, Stefanie Fichtner, Lukas Götting, Franka Hall, Elif Henden, Vanessa Kalmbach, Berra Kaya, Vincent Maulbetsch, Carla Mohr, Pablo Mora Bermejo, Eda Sahan, Miro Stoldt, Dzenisa Tahirovic, Patrik Wink

PROJEKT-FÖRDERUNG + UMSETZUNG

Die Projektentwicklung wurde dankenswerterweise von der Baden-Württembergstiftung im Rahmen des Programms „Innovationen zur Anpassung an den Klimawandel“ finanziert. Die kompetente Betreuung des Projektes erfolgte durch den Projektträger DLR - Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt.

Durch die freundliche Unterstützung der Stadt Karlsruhe, der Wirtschaftsförderung Karlsruhe, dem Stadtplanungsamt Karlsruhe und dem Grünflächenamt Karlsruhe konnte es im Herzen von Karlsruhe temporär aufgebaut werden. Durch die hohe Motivation aller am Projekt beteiligten Mitarbeitenden und Studierenden konnte zudem nicht nur ein technisch ausgereiftes System, sondern darüberhinausgehend eine gestalterisch anspruchsvolle Demonstrationsplattform entworfen und umgesetzt werden. Vielen Dank an alle!